BGH, Urteil vom 21.11.2024: Heckspoiler in der Waschanlage beschädigt

Sachverhalt – BGH, Urteil vom 21.11.2024 – VII ZR 39/24

Heckspoiler in der Waschanlage beschädigt. Ein Mann (M) klagte auf Schadensersatz, nachdem sein Range Rover in einer automatisierten Waschanlage des beklagten Betreibers (B) beschädigt wurde. Die Waschanlage arbeitete vollautomatisch, das Fahrzeug wird hierbei vom Fahrer abgestellt und anschließend durch den Waschvorgang geführt.

Am Eingang der Waschanlage waren die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Betreibers klar sichtbar angebracht. Darin hieß es unter anderem:

„Allgemeine Geschäftsbedingungen Autowaschanlagen/Portalwaschanlagen

– Die Reinigung der Fahrzeuge in der Waschanlage erfolgt unter Zugrundelegung der nachfolgenden Bedingungen: (…)

– Die Haftung des Anlagenbetreibers entfällt insbesondere dann, wenn ein Schaden durch nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder durch nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler, Antenne, Zierleisten o. Ä.) sowie dadurch verursachte Lackkratzer verursacht worden ist, außer den Waschanlagenbetreiber oder sein Personal trifft grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz.“

Unmittelbar darunter war ein weiterer Warnhinweis angebracht:

„Achtung: Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler!“

Der Range Rover des Klägers war mit einem serienmäßigen Heckspoiler ausgestattet. M befuhr die Waschanlage ordnungsgemäß, stellte sein Fahrzeug korrekt ab und startete den Waschvorgang wie vorgesehen. Während der automatischen Reinigung riss der mechanische Wascharm der Anlage den Spoiler ab, wodurch ein Schaden von ca. 3.219 EUR entstand. Die Schadenshöhe wurde nicht bestritten.

Sowohl das Fahrzeug als auch die Waschanlage waren – nach den Feststellungen des Gerichts – technisch einwandfrei und frei von Mängeln. Der Kläger forderte dennoch Ersatz für den entstandenen Schaden.

Juristische Fragestellung

Hat M gegen B einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung seines Fahrzeugs (des Heckspoilers) in der Waschanlage?

Wesentliche Aussagen des Bundesgerichtshofs

Der BGH bejaht einen solchen Anspruch unter Rückgriff auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen der Beschädigung des Heckspoilers in der Waschanlage! Nach dieser Vorschrift besteht eine vertragliche Nebenpflicht, die die Parteien eines Vertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.

Konkret: Der Betreiber einer Waschanlage ist verpflichtet, bei der Vertragsdurchführung darauf zu achten, dass Fahrzeuge – sofern sie sich im serienmäßigen Zustand befinden – durch die Nutzung der Anlage keinen Schaden nehmen.

Examensrelevanz

Der Fall eignet sich ausgezeichnet für die zivilrechtliche Examensprüfung, sowohl im ersten als auch im zweiten Staatsexamen. Er enthält zahlreiche klassische Probleme:

  • Einordnung des Vertragsverhältnisses als Werkvertrag
  • Geltung und Reichweite von AGB
  • Haftungsfreizeichnungen und deren Wirksamkeit
  • Beweislastverteilung bei Schadenseintritt
  • Umfang vertraglicher Nebenpflichten
  • Voraussetzungen der Beweislastumkehr

Gerade durch die Kombination aus Vertragsauslegung, AGB-Kontrolle und Beweislastfragen ist der Fall juristisch reichhaltig.

Falllösung

Es könnte ein Anspruch des M gegen B aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB bestehen.

  1. Schuldverhältnis

Zwischen M und B kam ein Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB zustande. Gegenstand dieses Vertrages ist die erfolgreiche Reinigung des Fahrzeugs. Dabei schuldet B nicht nur die Reinigung als Erfolg, sondern auch die sachgerechte, schonende Behandlung des Fahrzeugs – das ergibt sich als vertragliche Nebenpflicht.

2. Pflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB)

Die Pflicht, das Eigentum des Kunden nicht zu beschädigen, ist eine klassische vertragliche Nebenpflicht. Die Anlage darf nur dann betrieben werden, wenn sichergestellt ist, dass keine Beschädigungen serienmäßiger Fahrzeugbestandteile auftreten.

Hier war der Heckspoiler serienmäßig und ordnungsgemäß montiert. Die Schäden sind während des regulären Betriebs entstanden – ohne ein Verschulden des Kunden. Der Betreiber hätte sich darüber informieren müssen, ob seine Anlage mit serienmäßigen Fahrzeugausstattungen wie dem des Range Rovers kompatibel ist.

Beweislastumkehr

Nach allgemeinen Regeln liegt die Beweislast für Pflichtverletzung und deren Kausalität beim Geschädigten. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass eine Beweislastumkehr eintritt, wenn sich die Gefahrenquelle ausschließlich im Herrschafts- und Verantwortungsbereich des Schädigers befindet – wie hier bei der automatisierten Waschanlage.

Der BGH führt dazu aus: „Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.“ 

Das bedeutet: Der Kunde muss nur beweisen, dass der Schaden bei ordnungsgemäßem Gebrauch der Anlage entstanden ist – der Betreiber hingegen muss sich entlasten.

Hierbei ist der Standard nach § 276 II BGB für die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an dem Aufwand zu messen, der für die etwaige Sicherung anfällt. Der Hinweis auf alle Spoilerarten ist somit verhältnismäßig. Insbesondere der Umstand, dass auf potenzielle Schäden an Anbauteilen hingewiesen wurde, lässt den BGH vermuten, dass es für den Betreiber erwartbar war, dass ein solches Risiko besteht und er sich somit informieren muss, welche Fahrzeuge mit seiner Waschstraße kompatibel sind.

III. AGB und Hinweis auf Haftungsausschluss

Die AGB des Betreibers versuchten, die Haftung bei Schäden an nicht serienmäßigen Fahrzeugteilen auszuschließen. Der Hinweis „Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler“ war zwar deutlich sichtbar, aber im konkreten Fall nicht wirksam, weil der Heckspoiler zur Serienausstattung gehörte.

Der BGH stellt klar, dass ein genereller Hinweis auf „Anbauteile“ und „Spoiler“ nur dann wirksam sein kann, wenn eindeutig klargestellt wird, dass auch serienmäßige Teile gemeint sind – was hier gerade nicht der Fall war.

3. Vertretenmüssen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB)

Das Verschulden wird gesetzlich vermutet. B konnte sich nicht entlasten, da keine konkreten Maßnahmen zur Vermeidung der bekannten Gefahren für Spoiler nachgewiesen wurden. Der Betreiber hätte durch Tests oder Herstellerangaben ermitteln müssen, ob seine Anlage für alle gängigen Fahrzeugmodelle geeignet ist.

4. Schaden

Der Schaden besteht in der Zerstörung bzw. Beschädigung des Spoilers und ist kausal auf den Waschvorgangzurückzuführen. Es handelt sich um einen Sachschaden am Eigentum des Klägers.

5. Rechtsfolge

Nach § 249 Abs. 1, 2 BGB ist der Zustand wiederherzustellen, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat (Naturalrestitution). Der Kläger kann somit Ersatz in Geld verlangen – hier in Höhe der festgestellten 3.219 EUR.

Ergebnis

Der Waschanlagenbetreiber haftet dem Kunden aus vertraglicher Pflichtverletzung auf Schadensersatz. Die Hinweise in den AGB sowie der separate Zettel mit dem Haftungsausschluss genügen nicht, um die Haftung auszuschließen.

Fazit

Ein aktuelles Urteil, das klassische Probleme des Schuldrechts anschaulich aufarbeitet. Gerade im Zusammenhang mit AGB, vertraglichen Nebenpflichten und Beweislastverteilung bietet dieser Fall eine hervorragende Vorlage für schriftliche Prüfungen oder mündliche Fallbearbeitungen.

Lernhinweise für Studierende

  • Vertragstypologie: Differenzierung zwischen Dienst- und Werkvertrag
  • AGB-Kontrolle: Reichweite von Haftungsausschlüssen in AGB nach §§ 305 ff. BGB
  • §§ 280, 241 Abs. 2 BGB: Bedeutung vertraglicher Nebenpflichten
  • Beweislastumkehr: bei ausschließlicher Risikosphäre auf Seiten des Schädigers
  • § 249 BGB: Grundlagen und Reichweite des Schadensersatzes

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