BGH, Beschluss vom 08.10.2024: K.O.-Tropfen als gefährliches Werkzeug?!

BGH, Beschluss vom 08.10.2024 – 5 StR 382/24

Strafrecht: K.O.-Tropfen als gefährliches Werkzeug?! Der Beschluss des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich mit der klausurrelevanten Frage, ob K.O.-Tropfen ein gefährliches Werkzeug darstellen können.

Wichtige Rechtsprechung für das Examen überhaupt lernen?

Viele Jurastudenten und Referendare legen in ihrer Examensvorbereitung in Jura auf die aktuelle Rechtsprechung kaum ihr Augenmerk. Das kann sich als fataler Fehler erweisen, sodann in der Zwischenprüfung, den Klausuren im Hauptstudium, vor allem dann aber im 1. Staatsexamen, spätestens jedoch auf jeden Fall im 2. Jura Examen. Denn aktuelle Rechtsprechung ist “das Salz in der Suppe” für die Justizprüfungsämter. Die aktuelle Rechtsprechung stellt Deine Klausuren von morgen dar.

Auf keinen Fall auswendig lernen, sondern auf Verständnis!

Wenn Du Dich mit aktueller Rechtsprechung auseinandersetzt im Rahmen Deines Lernens, solltest Du es tunlichst vermeiden, Dir die Inhalte der aktuellen Rechtsprechung einfach nur “reinzupauken” und das war es dann. Vielmehr musst Du unbedingt die Gedankengänge des Gerichts nachvollziehen, verstehen und verinnerlichen. Andernfalls verbaust Du das in Deiner Klausurlösung an der falschen Stelle oder subsumierst vollkommen unzutreffende Wertungen. Das führt in nicht wenigen Fällen bei Deinen Korrektoren und Prüfern (einige unserer Dozenten waren Prüfer an diversen Prüfungsämtern) zum Nichtbestehen Deiner Klausur. Wenn das bei mehreren Klausuren passiert, führt das zum Durchfallen im Examen (natürlich kommen hierfür noch andere Fehler in Betracht). Im Anschluss bedeutet das für viele dann: Wiederholungsversuch in Jura bzw. Zweitversuch in Jura, wenn Du schon einmal durch das Examen oder die Zwischenprüfung gefallen sein solltest, unter Umständen auch der Letztversuch in Jura.

Daher: 

Beschäftige Dich zwar mit der aktuellen Rechtsprechung, achte aber auch auf die kleinen Nuancen in Deiner tatsächlichen Prüfungsklausur, an denen der Ersteller Deiner Klausur “gedreht” hat. Die komplette Klausur kann dann nämlich auch ganz anders verlaufen, als der für die Erstellung der Klausur zugrunde liegende Rechtsprechungsfall. Die Prüfer wollen damit “die Kandidaten aussieben”, die eben nur auswendig gelernt haben und NICHT ihr juristisches Handwerkzeug (saubere Subsumtion, strukturierte Denkweise, konsistentes, v.a. widerspruchsfreies Abrüfen der einzelnen Tatbestände usw.) beherrschen. Genau darauf legen wir, vor allem in unserem Jura Einzelunterricht, in unserem Jura Repetitorium der Kraatz Group das Augenmerk. Bereits ab dem Grundstudium in unserer Jura Nachhilfe wirst Du darauf dezidiert geschult.

Nun geht es aber los:

Auch wenn es in der Entscheidung um den Tatbestand des § 177 StGB, also um eine Sexualstraftat geht, sind die Merkmale der Norm parallel zu denen des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und § 250 II Nr. 1 StGB gefasst. 

Sachverhalt (klausurgerecht aufgearbeitet)

Grundsätzliche Sachverhaltsausgangslage

Der Angeklagte kannte die Nebenklägerin aus der Swinger-Szene, wobei seit spätestens 2019 keine sexuellen Kontakte mehr zwischen ihnen bestanden. Im August 2022 übernachtete die Nebenklägerin beim Angeklagten und dessen Verlobter anlässlich eines in der Nähe stattfindenden Konzerts. Ursprünglich war ein Austausch sexueller Handlungen nicht vorgesehen.

Täter entschloss sich kurzfristig GBL zu verabreichen

Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte jedoch, der bereits stark alkoholisierten Nebenklägerin sowie seiner Verlobten heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte die Frauen sexuell enthemmen, um mit ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich an deren gegenseitigen Handlungen sexuell zu erregen. Zu diesem Zweck tropfte er das GBL mit einer Pipette in ein alkoholfreies Getränk, das die Nebenklägerin ahnungslos zu sich nahm. Ein weiteres Getränk, ebenfalls mit GBL versetzt, gab er höchstwahrscheinlich auch seiner Verlobten, die es ebenfalls trank. Der Angeklagte war sich bewusst, dass die Verabreichung der Substanz in Verbindung mit Alkohol die Frauen bis zur Bewusstlosigkeit bringen und sie daran hindern konnte, sich gegen etwaige Handlungen zu wehren. Zudem war ihm klar, dass dies erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer potenziellen Todesgefahr mit sich bringen konnte.

Beabsichtigte Wirkung des GBL trat ein

Das GBL, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, bekannt als „Liquid Ecstasy“), umgewandelt wird, führte zu der beabsichtigten Wirkung. Die Nebenklägerin, sonst eher verschlossen, begann mit der Verlobten des Angeklagten ausgelassen zu tanzen. Im weiteren Verlauf entkleideten sich die beiden Frauen gegenseitig, legten sich auf eine Couch und küssten sich. Der Angeklagte trat schließlich hinzu, küsste die Nebenklägerin und berührte sie an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva. Er war sich dessen bewusst, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL weder einen eigenen Willen bilden noch äußern konnte und sie sich ohne die Droge niemals auf ihn eingelassen hätte.

Nach Abschluss der sexuellen Handlungen war die Nebenklägerin zunächst nicht auffindbar. Sie wurde später im Garten liegend, schlafend, kaum ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet vorgefunden. Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko, dass sie durch das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Einatmen von Erbrochenem ersticken könnte.

Handelt es sich bei dem GBL um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 VIII Nr. 1, Alt. 2 StGB?

Wesentliche Aussagen des BGH zur Einordnung der K.O.-Tropfen

Bei den K.O.-Tropfen (GBL) handelt es sich nicht um ein gefährliches Werkzeug gem. § 177 VIII Nr. 1, Alt. 2 StGB (und damit auch nicht nach § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB).

Das Wissen für Deine Jura Klausur

Obwohl es in der Entscheidung um den Tatbestand des § 177 StGB geht, sind die Merkmale der Norm parallel zu denen des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB gefasst. Mithin kann eine Auslegung der Begriffe anhand des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB erfolgen. 

Sind K.O.-Tropfen ein gefährliches Werkzeug?

  1. Fraglich ist, ob die Tropfen ein gefährliches Werkzeug darstellen, § 177 VIII Nr. 1 Alt. 2 StGB. 

Ein Werkzeug ist ein für bestimmte Zwecke geformter Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Die GBL-Tropfen sind aber flüssig. Würde man sie als Werkzeug einordnen, würde dies gegen Art. 103 II GG verstoßen. 

Hierfür spricht auch das systematische Argument: Genau wie bei § 250 II Nr. 1 StGB, zu dem sich der BGH bereits geäußert hat, liegt dann kein Werkzeug vor, wenn das Mittel erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper wirkt. § 250 II Nr. 1 StGB ist nach dem Willen des Gesetzgebers, genau wie § 177 StGB, an § 224 StGB orientiert. 

Die Pipette, mit der die Tropfen in das Glas getropft wurden, kann ebenso kein Werkzeug darstellen, auch wenn sie ein körperlicher Gegenstand ist. Ein Werkzeug ist gefährlich, wenn es nach seiner Art und seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Der Gegenstand, der ein gefährliches Werkzeug sein soll, muss unmittelbar auf den Körper einwirken (Wortlaut des § 224 I Nr. 2 StGB „mittels“). Die Pipette hat aber keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Körper des Opfers. 

  1. Ein weiterer Gesichtspunkt, den der BGH diskutiert, ist die Frage, ob § 224 I Nr. 2 StGB ein lex speciales zu § 224 I Nr. 1 StGB, also der „Beibringung von Gift“, darstellt. Diese Erwägung könnte dann auf § 177 StGB übertragen werden und eine andere Bewertung des Tatbestandes herbeiführen, der selbst kein Pendant zu § 224 I Nr.1 StGB auflistet. 

Argumente dafür:

Für eine solche Auffassung spricht, dass bei der Verwendung von Flüssigkeiten, Gasen oder Strahlen, die durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet werden, jedenfalls beide Tatbestände erfüllt werden könnten. Auch der Gleichlauf in der Behandlung von § 224 StGB und § 177 StGB nach dem gesetzgeberischen Willen spricht hierfür. Eine „Lücke“ in § 177 StGB müsste durch die extensive Auslegung des Werkzeugbegriffs geschlossen werden. 

Argumente dagegen:

Dagegen spricht allerdings, dass Spezialität nur dann vorliegt, wenn der Tatbestand alle Merkmale des generellen Tatbestandes in sich aufnimmt und modifiziert oder erweitert. Das ist schon im Hinblick auf den Wortlaut nicht der Fall. Auch historisch wurde der § 224 I Nr. 1 StGB im Rahmen des 6. StrRG als Ersatz für den § 229 StGB aF, die „Vergiftung“, eingeführt. Dieser soll vielmehr mit eigenem Regelungsgehalt in § 224 StGB aufgehen und nicht einen „Unterfall“ von § 224 I Nr. 2 StGB darstellen.
Mithin handelt es sich bei den Tropfen um kein gefährliches Werkzeug.

Hinweis: § 177 StGB ist in den meisten Bundesländern kein Prüfungsstoff. Dennoch ist die Entscheidung des BGH wegen § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und § 250 II Nr. 1 StGB sehr prüfungsrelevant.

Weitere Delikte in der Klausur

In der Klausur wäre jedoch § 224 I Nr. 1 StGB erfüllt. GBL oder andere Substanzen, die als K.O. Tropfen wirken, sind regelmäßig andere gesundheitsschädliche Stoffe. Dies sind Stoffe, die mechanisch (z.B. Glassplitter), thermisch (z.B. heiße Flüssigkeiten) oder biologisch-physiologisch (z.B. Viren, Bakterien und Arzneimittel) wirken. Gesundheitsschädlich ist der Stoff, wenn er unter den konkreten Bedingungen dazu geeignet ist, die Gesundheit des Opfers erheblich zu schädigen.
§ 224 I Nr. 2 StGB ist hingegen mit der o.g. Argumentation zu verneinen.

Einordnung des Urteils für Jura Studium & Examen

Die Sexualdelikte sind in den meisten Bundesländern kein Prüfungsstoff im 1. und 2. Jura Examen. Gleichwohl ist es höchst wahrscheinlich, dass die in der Entscheidung durch den BGH erörterten Gesichtspunkt bald Gegenstand einer Examensklausur werden – und zwar im Kontext der gefährlichen Körperverletzung oder des besonders schweren Raubes. Beide Delikte gehören sowohl im 1. als auch im 2. Staatsexamen zu den absoluten Lieblingsdelikten der Prüfungsämter.

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Relevante Lerninhalte

  • Gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und § 250 II Nr. 1 StGB
  • Auslegung einer strafrechtlichen Norm

Relevante Rechtsprechung

  • BGH, Beschluss vom 08.10.2024 – 5 StR 382/24

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