- 24. November 2025
- Posted by: Dr. Robert König
- Category: Strafrecht
Jura Online lernen: Das Mordmerkmal „mit gemeingefährlichen Mitteln“
Was ist ein gemeingefährliches Mittel i.S.d. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB?
Dieses objektive Mordmerkmal kann tückisch sein: Im Einzelfall kann ein Stein ein gemeingefährliches Mittel sein, eine Bombe jedoch nicht. Grund genug, uns dieses Mordmerkmal einmal eingehender anzusehen.
Lesetipp: Die gemeingefährlichen Mittel sind natürlich nicht das einzige klausurrelevante Mordmerkmal. Wir haben für Dich daher auch noch Artikel zum „niedrigen Beweggrund“ und zur „Heimtücke“ verfasst.

I. Definition „gemeingefährliches Mittel“ nach der Rechtsprechung
Die Rspr. definiert das Mordmerkmal wie folgt:
Gemeingefährlich ist ein Mittel, wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607).
Hinweis!
Der Bundesgerichtshof (BGH) schaut nicht nur auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels, sondern stellt vielmehr auf dessen Wirkung in der konkreten Situation ab. Dazu berücksichtigt er auch die individuellen Fähigkeiten und die Absichten des Täters.
II. Besondere Verwerflichkeit des Mordmerkmals aufgrund der Gemeingefährlichkeit
Die besondere Verwerflichkeit dieser Tötung besteht darin, dass der jeweilige Täter bereit ist, eine (große) Mehrzahl von Menschen zu gefährden, ohne das eigene Tatmittel kontrollieren zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Rücksichtslosigkeit des Täters anderen bzw. der Allgemeinheit gegenüber verwandelt einen Totschlag (§ 212 StGB) in einen Mord (§ 211 StGB).
Dabei ist, wie bereits gesagt, nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.
III. Beispiele für eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln gem. § 211 Abs. 2 StGB
Wichtige Beispiele sind Rasen durch die Innenstadt, das Zünden einer Bombe sowie die Brandlegung. Daneben kommen aber auch vielfältige andere Verhaltensweisen in der Klausur in Betracht. So kann auch der Wurf eines Steins von einer Autobahnbrücke im Einzelfall gemeingefährlich sein, wenn viel Verkehr herrscht und damit die Gefahr eines Massenunfalls besteht.
1. Kfz als gemeingefährliches Mittel
Es kommt, wie zuvor besprochen, stets auf die konkrete Anwendung des jeweiligen Tatwerkzeugs im Einzelfall an.
Die Mordqualifikation kann deswegen auch dann erfüllt sein, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, welches naturgemäß grundsätzlich zwar nicht gemeingefährlich ist, etwa ein Auto.
Maßgeblich ist dann aber die Eignung des Mittels zur Gefährdung mehrerer in der konkreten Situation. Für eine Gemeingefährlichkeit des Tatmittels kommt es damit gerade nicht auf dessen abstrakte Gefährlichkeit an, sondern auf die Auswirkungen im konkreten Einzelfall.
Daher bejaht der BGH heutzutage auch häufig einen Mord mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn der Täter mit hoher Geschwindigkeit durch die Innenstadt rast. Passanten können unverhofft auf die Straße treten oder der Täter kann bei hoher Geschwindigkeit schnell die Kontrolle über sein Auto verlieren.
In diesen Fällen muss jedoch immer der Tötungsvorsatz präzise herausgearbeitet werden.
2. Der Klassiker: die Bombe
Woran hast Du zuerst gedacht? Richtig, die Bombe. Sie ist wohl das Standardbeispiel für ein gemeingefährliches Mittel. So ist die Sprengwirkung (auch im Hinblick auf Splitter usw.) kaum vorhersehbar und meistens besteht daher eine allgemeine Gefahr, wenn der Täter eine Bombe zündet.
Allerdings kann auch beim Einsatz einer Bombe unter Umständen die Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels zu vermeiden sein, wenn nämlich beim konkreten Einsatz potenziell nur eine Person getötet werden kann.
Gleiches gilt bei der Brandlegung eines Hauses (dazu sogleich). Es kommt nämlich nicht auf die abstrakte Gefahr an, sondern auf die konkrete Situation des Einsatzes.
Andererseits kann selbst der Wurf eines einzelnen Steins von einer Autobahnbrücke bei stark frequentiertem Autoverkehr im Einzelfall ein gemeingefährliches Mittel darstellen (siehe schon oben). Hier bedarf es also einer präzisen Definition und Subsumtion unter das Mordmerkmal!
Klausurtipp
Selbstverständlich prüfst Du nicht nur einen Tatbestand in der strafrechtlichen Klausur.
Ein Straftatbestand, der sehr häufig übersehen wird, ist § 308 StGB, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion. Hier liegt naturgemäß kein Schwerpunkt der Klausur und Du wirst das Delikt schnell bejahen können. Jedoch ist es gerade im Strafrecht wichtig, dass Du auch derartige Delikte siehst und kurz ansprichst, um keine Punkte zu verlieren.
Ein Klassiker in diesem Kontext ist der Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB. Der wird häufig, z.B. beim Diebstahl aus Gebäuden, übersehen. So verschenkt man sich dann schnell einen Punkt.
3. Brandlegung
Die Brandstiftung (§§ 306 ff. StGB) kann dann ein gemeingefährliches Mittel im Sinne des § 211 StGB sein, wenn der Täter durch die Brandlegung eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährdet, weil er die Ausbreitung des Feuers nicht kontrollieren kann. Dies hängt immer von der konkreten Situation ab.
Beispiel
Der Täter zündet ein Feuer im Flur eines Hochhauses an. Dieses hat viele Wohnungen und noch mehr Bewohner. Die Gefahr, dass mehrere Menschen durch das Feuer zu Schaden kommen, ist groß. Sie hängt von der Ausbreitung des Feuers ab, die der Täter nicht vollständig kontrollieren kann.
4. Weitere, typische Anwendungsfälle
Auch Schüsse in eine Menschenmenge können gemeingefährlich sein. Weitere anschauliche Fälle sind das Vergiften von Trinkwasser oder das Freisetzen gefährlicher Krankheitserreger.
5. Häufig auch zu prüfen: Heimtücke
Ein Täter kann auch mehrere Mordmerkmale gleichzeitig verwirklichen. Im Kontext der gemeingefährlichen Mittel ist häufig auch das Mordmerkmal der Heimtücke (zumindest anzusprechen). Hierzu habe ich bereits einen sehr ausführlichen Artikel für Dich verfasst Das Mordmerkmal der Heimtücke
IV. Abgrenzung zur Mehrfachtötung
Wenn der Täter ein oder mehrere Tatopfer individualisiert und genau diese Opfer töten will, liegt eine Mehrfachtötung vor, aber kein Fall der gemeingefährlichen Mittel. In diesem Fall ist aber immer problematisch, ob im subjektiven Tatbestand das Mordmerkmal vorliegt, d. h., ob der Täter Vorsatz hatte (guter Klausurfall: BGH, NStZ 2020, 614 = NJW 2020, 2973).
In der Literatur wird man zur Abgrenzung einige unterschiedliche Ansichten finden, die sich oft nur in Nuancen unterscheiden. Nach unserer Erfahrung ist es aber nicht notwendig, an dieser Stelle einen klassischen Meinungsstreit zu eröffnen. Vielmehr sollte man den Sachverhalt sauber unter die Abgrenzungskriterien der Rechtsprechung subsumieren.
V. Beispielsfall zur Abgrenzung
1. Sachverhalt
Der Täter A möchte mit einer Bombe nur einen Menschen, seinen Erzfeind B, töten. Er beherrscht jedoch angesichts der großen Sprengkraft das Geschehen nicht und tötet daher auch D, der sich zufällig in der Nähe befand. A nahm billigend in Kauf, dass die Bombe auch weitere Menschen töten könnte.
Es sind nur Delikte aus dem 16. Abschnitt zu prüfen.
2. Lösungsskizze
§§ 212 I , 211 II Gr. 2 Alt. 3 StGB
Hinweis: Hier kommt es auf die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag nicht an. Dennoch muss man sich schon in der Überschrift für einen Aufbau entscheiden. Wenn man, wie hier, mit der Literatur den Mord als Qualifikation des Totschlags ansieht, prüft man §§ 212, 211 StGB. Das hat den Vorteil, dass man nicht (wie mit der Rechtsprechung) zuerst § 212 StGB und dann § 211 StGB prüfen muss und so Schreibarbeit spart. Da man den Aufbau in der Klausur nicht begründen muss und es auf die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag beim Einzeltäter nicht ankommt, sollte man – wie hier – einfach ohne Begründung §§ 212, 211 StGB prüfen.
Objektiver Tatbestand § 212 I StGB
A hat zwei Menschen, B und D, kausal und objektiv zurechenbar getötet.
Objektiver Tatbestand § 211 II Gr. 2 Alt. 3 StGB
Bei der Prüfung des § 211 StGB ist im objektiven Tatbestand das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel erfüllt. A konnte die Explosionswirkung in der konkreten Situation nicht beherrschen.
Subjektiver Tatbestand
Fraglich ist jedoch, ob der Täter auch hinsichtlich des Mordmerkmals vorsätzlich handelte. Dazu muss er in Kenntnis der das Mordmerkmal begründenden Umstände (insbesondere die unbeherrschbaren Auswirkungen des Tötungsmittels) handeln und die Tötung einer unbestimmten Anzahl von Tatopfern billigend in Kauf nehmen. Am Vorsatz kann es daher fehlen, wenn der Täter subjektiv von Umständen ausgeht, welche eine betreffende Gemeingefährlichkeit ausschließen würden. Beispielsweise denkt er aufgrund nachvollziehbarer Angaben im Sachverhalt, dass seine Bombe sehr präzise wäre oder nur die Sprengkraft für eine Person hätte. In diesem Fall fehlt ihm der Vorsatz und er hat sich nur wegen eines Totschlags strafbar gemacht.
Im vorliegenden Fall wollte A zwar nur B töten (Absicht). Jedoch nahm er den Tod weiterer Menschen billigend in Kauf (dolus eventualis). Mithin handelte er vorsätzlich.
Hinweis: Hier war der Sachverhalt bewusst sehr allgemein gehalten. Meistens ist in der Klausur aber auch noch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.
Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis
A hat sich eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln gem. §§ 212 I, 211 II Gr. 2 Alt. 3 StGB strafbar gemacht.
Hinweis: Hier hat der Bearbeitervermerk bewusst die Prüfung auf den 16. Abschnitt des StGB beschränkt. Falls keine Delikte ausgeschlossen werden, kommen jedoch beim Zünden einer Bombe noch folgende Delikte in Betracht:
- Körperverletzungsdelikte, §§ 223 ff. BGB: Bombe ist eine Waffe gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 1 StGB, oftmals auch ein hinterlistiger Überfall gem. § 224 I Nr. 3 StGB und eine lebensgefährliche Behandlung gem. § 224 I Nr. 5 StGB.
- Sachbeschädigung, § 303 StGB
- Zerstörung von Bauwerken, § 305 BGB
- Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, § 308
VI. Wiederholung und Vertiefung
Ich hoffe, Du hast aus der Lektüre des Artikels einiges mitgenommen und weißt jetzt, wie Du mit diesem Mordmerkmal umgehen musst. Um Dein Wissen weiter zu verfestigen, beantworte die folgenden Wiederholungsfragen:
1. Was ist ein „gemeingefährliches Mittel“ im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB?
Das gemeingefährliche Mittel wird wie folgt definiert: Gemeingefährlich ist ein Mittel, wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat.
2. Wie wird die „besondere Verwerflichkeit“ des Mordes bei der Verwendung gemeingefährlicher Mittel begründet?
Die besondere Verwerflichkeit der Tatausführung mittels gemeingefährlicher Mittel liegt darin, dass der Täter bereit ist, eine Vielzahl an Menschen zu gefährden, da er das Tatmittel nicht kontrollieren kann. Diese besonders verwerfliche Rücksichtslosigkeit macht aus der Tötung einen Mord.
3. Was sind typische Konstellationen in der Klausur?
Feuerlegung an einem Mehrfamilienhaus, Rasen durch die Innenstadt und Bombenlegung. Stets ist aber die konkrete Tatsituation zu betrachten! Eine Bombe in einer einsamen Hütte, die nur von einer einzigen Person bewohnt wird, ist nicht gemeingefährlich.
VII. Fazit zum Mordmerkmal der gemeingefährlichen Tötung im Strafrecht
Wenn man sauber definiert und subsumiert, sollte man mit dem Mordmerkmal der gemeingefährlichen Tötung keine Probleme haben. Wichtig ist es jedoch, dieses auch im Klausursachverhalt zu erkennen. Da es auf die konkrete Tatsituation ankommt, kann sogar ein Stein im Einzelfall dieses Mordmerkmal erfüllen.
Gerade in strafrechtlichen Klausuren ist es elementar, den Sachverhalt mit einem wachen Auge zu lesen und klausurtaktisch zu denken. Wenn sich bei Dir im Strafrecht noch nicht der gewünschte Erfolg einstellt, helfen unsere erfahrenen Dozenten Dir gerne weiter. Vom ersten Semester über das 1. Examen bis zum 2. Examen bietet Dir die Kraatz Group stets die für Dich passende Jura Nachhilfe an.
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Dr. Robert König
Lektor & Geschäftsführer Jura Essentials Verlag
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