- 23. Juli 2025
- Posted by: Sophie Goldenbogen
- Category: Zivilrecht
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt ist eine besondere Sicherungsform im deutschen Zivilrecht. Er begegnet Jurastudierenden häufig in Examensklausuren, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Schuldrecht und Sachenrecht. Dabei wird die klassische Sicherungsfunktion des einfachen Eigentumsvorbehalts durch eine Vorausabtretung ergänzt. In unserem heutigen Beitrag erklären wir verständlich, wie der verlängerte Eigentumsvorbehalt funktioniert, wer beteiligt ist, welche typischen Klausurprobleme auftreten – und warum diese Konstruktion so klausurträchtig ist. Klar strukturiert, mit Beispielen und Prüfungspunkten – ideal für die gezielte Examensvorbereitung.
Was versteht man unter dem verlängerten Eigentumsvorbehalt?
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt ist eine Sonderform des einfachen Eigentumsvorbehalts, bei dem zur Sicherung der Ansprüche des Vorbehaltsverkäufers der Eigentumsvorbehalt um eine Sicherungsabtretung verlängert wird. Die zukünftigen Forderungen des Vorbehaltskäufers aus einer Weiterveräußerung der Vorbehaltsware an einen Dritten werden an den Verkäufer im Voraus abgetreten. Das klingt auf den ersten Blick kompliziert. Zugänglicher wird das Ganze, wenn man sich eine typische Fallkonstellation vor Augen hält.
→ Mehr zum Anwartschaftsrecht findest du in diesem Blogbeitrag der Kraatz Group
Wer ist am verlängerten Eigentumsvorbehalt beteiligt?
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Rolle |
Beteiligter |
Funktion im Vertrag |
|
Verkäufer |
Warenlieferant |
Übereignet unter Eigentumsvorbehalt, erhält Forderung |
|
Käufer |
Zwischenhändler |
Veräußert weiter, tritt Forderung ab |
|
Endkunde |
Dritter |
Kauft Ware, zahlt meist in Raten |
Der Vorbehaltsverkäufer (Warenlieferant) übereignet dem Vorbehaltskäufer (Zwischenhändler) unter Eigentumsvorbehalt seine Ware, aber ermächtigt ihn zur Weiterveräußerung an einen Dritten (Endkunde). Dadurch verliert der Warenlieferant sein als Sicherheit vorbehaltenes Eigentum. Als Kompensation erhält der Warenlieferant jedoch im Voraus bereits die zukünftigen Forderungen aus dem Weiterverkauf mit der Ware abgetreten (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1992 – NJW 1992, 1906 (Az. IX ZR 173/91).
Sehen wir uns nun näher an, was dabei genau vereinbart wird und wie man das Ganze rechtlich einordnet.
Was wird bei einem verlängerten Eigentumsvorbehalt vereinbart?
1. Der Warenlieferant (Verkäufer):
a) verkauft Ware unter Eigentumsvorbehalt an Zwischenhändler (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB)
b) ermächtigt zur Weiterveräußerung der Vorbehaltsware im eigenen Namen (§ 185 BGB)
c) erhält im Voraus sämtliche Forderungen abgetreten, die aus einer Weiterveräußerung der Vorbehaltsware durch den Zwischenhändler an den Endkunden stammen (§ 398 BGB)
d) ermächtigt den Zwischenhändler zur Einziehung der abgetretenen Forderung (§ 185 BGB analog)
e) erteilt dem Zwischenhändler das Einverständnis, das mit befreiender Wirkung an den Zwischenhändler geleistet werden kann (§§ 362 Abs. 2, 185 BGB).
2. Der Zwischenhändler (Käufer):
a) kauft Ware unter Eigentumsvorbehalt vom Warenlieferanten (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB)
b) übereignet Vorbehaltsware im eigenen Namen an Endkunden (§§ 929 S. 1, 185 BGB)
c) tritt sämtliche Forderungen aus der Weiterveräußerung an den Warenlieferanten ab (§ 398 BGB)
d) verspricht dem Warenlieferanten, die Forderungen einzuziehen und in Raten an den Warenlieferanten abzuführen
3. Der Endkunde
a) schließt Kaufvertrag mit Zwischenhändler (§ 433 BGB)
b) zahlt Kaufpreis in Raten
c) weiß i.d.R. nichts vom Eigentumsvorbehalt
Vertragliche Vereinbarungen im Überblick
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Vertragspartner |
Regelungsinhalt |
Rechtsgrundlage |
|
Lieferant – Händler |
Verkauf unter Eigentumsvorbehalt, Ermächtigung zur Weiterveräußerung, Forderungsabtretung |
§§ 929, 158, 185, 398 BGB |
|
Händler – Endkunde |
Kaufvertrag und ggf. Ratenzahlung, evtl. Abtretungsverbot |
§ 433 BGB, § 399 BGB |
Welchen Zweck erfüllt der verlängerte Eigentumsvorbehalt?
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt erlaubt dem Zwischenhändler, die Ware weiterzuverkaufen, obwohl er noch nicht Eigentümer ist. Dadurch kann er Gewinne erzielen, mit denen er die Ware später bezahlt. Die dadurch verloren gehende Sicherung des Warenlieferanten wird durch die Abtretung der künftigen Forderung kompensiert.
Warum ist der verlängerte Eigentumsvorbehalt examensrelevant?
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt begegnet Jurastudierenden regelmäßig in Examensklausuren mit Schnittstellen zwischen Schuldrecht und Sachenrecht. Der Klausursachverhalt spricht häufig davon, dass laut einer AGB eine Ware unter „verlängertem Eigentumsvorbehalt“ verkauft werde. Der verlängerte Eigentumsvorbehalt bringt zahlreiche prüfungsintensive Schnittstellen mit sich: Eigentumsübertragung gem. §§ 929 ff. BGB i.V.m. § 185 BGB, Gutglaubensschutz gem. §§ 932 ff. BGB, Vorausabtretung von Forderungen gem. § 398 BGB, Erfüllungswirkung gem. §§ 362 Abs. 1, 2 BGB, Schuldnerschutz gem. §§ 404 ff. BGB.
Welche Fragen stellen sich in der Klausur?
1. Zum Schicksal der Forderung
a) Ist die Vorausabtretung wirksam? (§ 398 BGB)
b) Liegt ein Fall von Übersicherung vor (§ 138 BGB)?
c) Ergibt sich aus einer Übersicherung ein Rückübertragungsanspruch?
c) Wem steht die Forderung gegen den Endkunden zu?
d) Was passiert bei einer Zahlung des Endkunden an den Zwischenhändler (§§ 362, 185 BGB, § 407 BGB i.Vm. § 362 BGB?)
2. Zum Schicksal der Vorbehaltsware
a) Ist die Übereignung der Vorbehaltsware vom Warenlieferanten an den Zwischenhändler wirksam?
b) Ist die Übereignung der Vorbehaltsware vom Zwischenhändler an den Endkunden wirksam?
Welche typischen Probleme treten in einer Klausur auf?
1. Was passiert, wenn der Endkunde an den Zwischenhändler zahlt?
Der Zwischenhändler ist durch die Einziehungsermächtigung (§ 185 BGB analog i.V.m. §§ 362 Abs. 2, 185 BGB) berechtigt, Zahlung an sich zu verlangen und den Geldbetrag mit befreiender Wirkung für den Schuldner entgegenzunehmen. Der Endkunde kann also in der Regel mit befreiender Wirkung an den Zwischenhändler zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2006 – NJW 2007, 669 (Az. XI ZR 163/05) ).
2. Was passiert bei einem Zahlungsausfall des Zwischenhändlers?
Der Warenlieferant kann die an ihn abgetretenen, noch offenen Forderungen gegen die Endkunden einziehen. Der Warenlieferant hat jedoch auch ein Interesse an der Rückforderung der Vorbehaltsware, die sich noch beim Zwischenhändler befindet. Der Warenlieferant muss nach einer Fristsetzung den Rücktritt wegen Nichtleistung des Kaufpreises erklären und kann die Rückgabe der Vorbehaltsware verlangen. (§§ 346 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB, § 985 BGB). Der Rücktritt beim verlängerten Eigentumsvorbehalt erfordert grundsätzlich eine Fristsetzung (vgl. § 449 Abs. 1 BGB, anders die frühere Rechtslage), auch wenn die Fristsetzung nicht allzu lang bemessen sein muss. Die Frist kann darüber hinaus gem. § 323 Abs. 2 BGB entbehrlich sein. Da jedoch auch andere Gläubiger auf die Vorbehaltsware zugreifen könnten, ist es für den Warenlieferanten ratsam, eine vertragliche Klausel über die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung in den Vertrag aufzunehmen. Das ist nach herrschender Meinung durch eine Individualvereinbarung grundsätzlich zulässig (anders bei AGB, vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2008 – NJW-RR 2008, 818 (Az. XI ZR 224/07))
3. Was passiert, wenn der Zwischenhändler mit dem Endkunden ein Abtretungsverbot (§ 399 Alt. 2 BGB) vereinbart?
Ist zwischen dem Zwischenhändler und dem Endkunden ein Abtretungsverbot gem. § 399 Alt. 2 BGB vereinbart, scheitert die Abtretung der Forderung an den Warenlieferanten. Konsequenz nach BGH: Der Endkunde kann im Gegenzug vom Zwischenhändler kein Eigentum an der Vorbehaltsware erwerben, da der Zwischenhändler in solchen Fällen die Ermächtigung zur Weiterveräußerung gem. § 185 verliert.
Begründung: Der Zwischenhändler wurde vom Warenlieferanten gem. § 185 Abs. 1 BGB nur ermächtigt, die Sache im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs weiterzuveräußern. Lässt sich der Zwischenhändler auf ein Abtretungsverbot mit dem Endkunden ein, verstößt er gegen die Grundlage seiner Ermächtigung. Dadurch entfällt seine Berechtigung i.S.d. § 929 S. 1 BGB. Deshalb kommt für den Endkunden nur ein gutgläubiger Erwerb der Vorbehaltsware gem. §§ 932 ff. BGB in Betracht. Verlangt der Endkunde vom Zwischenhändler aber ein Abtretungsverbot, ist er regelmäßig nicht gutgläubig. Muss der Endkunde nämlich nach den Umständen mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt des Zwischenhändlers rechnen, handelt er grob fahrlässig i.S.d. § 932 Abs. 2 BGB, wenn er die Abtretung der Kaufpreisforderung vertraglich (wirksam) ausschließt und keine Erkundigungen über das Verfügungsrecht und/oder die Eigentumsverhältnisse an der Kaufsache einzieht (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1999 – NJW 1999, 425 (Az. VIII ZR 7/98)). Der Warenlieferant erwirbt in diesen Fällen also keine Forderung, sondern bleibt Eigentümer der Vorbehaltsware.
4. Was passiert, wenn der Zwischenhändler die Sache weiterverarbeitet?
Verarbeitet der Zwischenhändler die Sache so, dass er dadurch eine neue Sache herstellt, wird er gem. § 950 BGB Eigentümer der Sache. Veräußert der Zwischenhändler die neue Sache nun weiter, erhält der Warenlieferant keine Sicherheit, da die von ihm als Warenkredit gegebene Sache nicht mehr existent ist. Auf den Warenlieferanten gehen nach der Absprache nur solche Forderungen über, die aus einem Kaufvertrag mit der Sache des Warenlieferanten stammen. Somit wäre der verlängerte Eigentumsvorbehalt nicht verarbeitungsbeständig. Die Parteien des Vorbehaltskaufvertrages können jedoch auch die Wirkung des § 950 BGB nicht vertraglich ausschließen, da die Normen des Sachenrechts grundsätzlich nicht dispositiv sind. Nach ganz h.M. ist es aber möglich, dass die Parteien eine sogenannte Verarbeitungsklausel vereinbaren. Dabei wird vereinbart, wer von den Parteien Hersteller im Sinne des § 950 BGB sein soll und somit gem. § 950 BGB Eigentümer wird (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2003 – NJW 2003, 1958 (Az. IX ZR 130/02)).
5. Welchen Umfang hat die Verfügungsermächtigung?
Grundsätzlich ist die Ermächtigung des Zwischenhändlers zur Weiterveräußerung der Sache im eigenen Namen auch konkludent möglich. Eine solche Ermächtigung kann vorliegen, wenn Warenlieferant und Zwischenhändler eine Vorausabtretung von Forderungen an den Warenlieferanten vereinbart haben. Die Verfügungsmacht gem. § 185 BGB ist regelmäßig an die Wirksamkeit der Vorausabtretung geknüpft. Da der Zwischenhändler nur zur Weiterveräußerung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs ermächtigt wird, sind für die Frage, wann sich die Verfügung in diesem Rahmen bewegt, vor allem die Interessen des Warenlieferanten maßgeblich. Vor allem darf der Zwischenhändler die Sache nicht deutlich unter Wert weiterveräußern. Tut er dies doch, ist er Nichtberechtigter i.S.d. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Endkunde kann dann nur Eigentum gem. §§ 932 ff. BGB erwerben, was ausgeschlossen ist, wenn er bösgläubig ist, was bei einer Veräußerung deutlich unter Wert angenommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2006 – NJW 2007, 669 (Az. XI ZR 163/05)).
Mit welchen Rechtsgebieten lässt sich der verlängerte Eigentumsvorbehalt verbinden?
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Rechtsgebiet |
Relevante Normen |
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Sachenrecht |
§§ 929, 158 BGB, §§ 932 ff. BGB, § 185 BGB analog |
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Schuldrecht AT |
§ 398 BGB (Abtretung), § 362 II i.V.m. 185 BGB (Erfüllung), Schuldnerschutz gem. §§ 404 ff. BGB |
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Bereicherungsrecht |
§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB (wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten) |
Fazit
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt erweitert den einfachen Eigentumsvorbehalt um eine Sicherungszession künftiger Forderungen und bildet einen klassischen Klausurstoff. Wichtig ist das Zusammenspiel zwischen bedingter Eigentumsübertragung, Verfügungsermächtigung und Forderungsabtretung.
Wie bereitest du dich am besten auf das Examen vor?
Der verlängerte Eigentumsvorbehalt ist nur eines von vielen komplexen Themen, die in deiner Examensprüfung abgefragt werden können. Wer den Überblick behalten und gezielt lernen will, braucht nicht nur Skripte – sondern strukturiertes Training, fundierte Wiederholung und echte Klausurerfahrung.
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Ref.jur Sophie Goldenbogen
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