Willenserklärung? WhatsApp & Emojis im Rechtsverkehr

OLG München, Urteil vom 11.11.2024 – 19 U 200/24 e

Das OLG München befasst sich in seinem höchst examensrelevanten Urteil mit wichtigen Fragen des Alltags: Wann ist eine Kommunikation über WhatsApp rechtsverbindlich? Wie sieht dies bei der Verwendung von Emojis aus? Können diese eine Willenserklärung darstellen?

Sachverhalt

Der Beklagte V betreibt einen Autohandel. Er hat sich auf den Verkauf von hochpreisigen Luxuswagen spezialisiert. K bestellt bei V am 19.11.2020 verbindlich einen Ferrari SF90 „Stradale“ zum Preis von ca. 600.000 Euro.

In dem Vertrag wurde vereinbart, dass die Lieferung unverbindlich im 2./3. Quartal 2021 erfolgen solle. Der Käufer sollte zur Mahnung erst Anfang April 2022 berechtigt sein. Änderungen des Vertrags sollten nur in Schriftform erfolgen. K zahlte 59.500 EUR als Anzahlung.

Per WhatsApp teilte V dem K am 23.09.2021 mit, dass der Ferrari wohl erst im ersten Halbjahr 2022 geliefert werden könne. Auf die hierzu führenden Umstände habe er keinen Einfluss. Der K antwortete hierauf mit der Nachricht

„Ups “.

 

K bat den V sodann um irgendeinen Nachweis über die Bestellung des SF90 beim Hersteller Ferrari. Diesen lieferte der V zum 29.09.2021. Hierauf antwortete der K wie folgt:

Am 27.01.2022 sandte der Kläger eine WhatsAppnachricht mit folgendem Inhalt:

 

„Erstes Halbjahr hat angefangen.

Schon ein Lebenszeichen von Ferrari, wann mit dem Auto zu rechnen ist?“

Daraufhin antwortete der V, dass eine Abwicklung Anfang Mai 2022 möglich sein sollte, was der K bestätigte. Hierzu kam es nach erneuter Mitteilung seitens V jedoch nicht, weil der Ferrari einen Defekt an der Batterie habe, der eine Auslieferung verhindere.

Mit Schreiben vom 10.05.2022 stellte K den Rücktritt vom Kaufvertrag in Aussicht, wenn V den Ferrari nicht bis zum 24.05.2022 liefern würde. Diese Fristsetzung wies der V am 22.05.2022 zurück. Daraufhin trat K am 01.06.2022 vom Kaufvertrag zurück und erbat eine Rückzahlung der Anzahlung.

Der V hingegen sieht den Rücktritt des K als unwirksam an und forderte eine Zahlung des restlichen Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs bis zum 05.08.2022.

Kann K seine Anzahlung i.H.v. 59.500 EUR von V zurückverlangen?

Die wesentlichen Aussagen des Gerichts

Der Rücktritt des K war erfolgreich. K kann somit seine Anzahlung gegenüber V gem. § 346 I BGB herausverlangen. Die Emojis sind nicht als Zustimmung zu einer etwaigen Fristverlängerung zu werten.

Bedeutung für Deine Jura Klausur

Neben dem klassischen Rücktrittsschema wird in dieser Rechtsprechung die besondere Behandlung von Emojis in den Kontext des Schriftformerfordernisses eingebettet. Insofern bietet sich das Urteil besonders gut für Klausuren an. Der Bearbeiter muss die Bedeutung der verwendeten Emojis einzelfallbezogen auslegen und deren Verwendung per Instant-Messenger-Dienst klausurtaktisch einordnen. Handelt es sich um eine Willenserklärung? Wenn ja, wie ist diese zu verstehen? Hält sie etwaige Formerfordernisse ein?

Der Anspruch gem. § 346 I BGB

Da es vorliegend um einen Anspruch auf Herausgabe nach erfolgtem Rücktritt geht, wollen wir uns zunächst das Prüfungsschema eines Anspruchs auf Rückgewähr nach § 346 I BGB ansehen.

Mit dem wirksamen Rücktritt erlöschen die Primäransprüche aus dem Vertrag ex nunc (hier Kaufvertrag gem. § 433 BGB) und das Schuldverhältnis wandelt sich in ein Rückgewährverhältnis um.

Nach § 346 I BGB sind empfangene Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

Prüfungsschema eines Anspruchs nach § 346 I BGB

Aufbauhinweis für Deine Klausur

Der Rücktritt kommt im Gutachten für gewöhnlich an zwei Stellen vor:

  • Als rechtsvernichtende Einwendung gegen vertragliche Primäransprüche (z.B. Anspruch auf Kaufpreiszahlung).
  • Im Rahmen eines Sekundäranspruchs gem. §§ 346 ff. BGB.

Falllösung: Emojis als Willenserklärung?

K könnte einen Anspruch auf Rückzahlung seiner Anzahlung i.H.v. 59.500 EUR gegen V gem. § 346 I BGB haben.

1. Rücktrittserklärung

Mit dem Schreiben vom 01.06.2022 hat K wirksam den Rücktritt ggü. V nach § 349 BGB erklärt.

2. Rücktrittsgrund

K könnte ein Rücktrittsgrund gem. § 323 BGB zustehen.

a) Wirksamer gegenseitiger Vertrag

Ein wirksamer Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB ist unzweifelhaft zustande gekommen.

b) Leistungsverzögerung

Fraglich ist, ob eine Leistungsverzögerung i.S.d. § 323 BGB vorlag.

Dies wäre dann der Fall, wenn V seine aufgrund des Kaufvertrags geschuldete und fällige Leistung, die Übergabe und Übereignung des Ferraris an K, nicht erbracht hätte.

Problematisch ist die Frage, wann die Leistung des V fällig geworden ist.

aa) Ursprüngliche Vereinbarung

Ursprünglich hatten die Parteien einen „unverbindlichen“ Liefertermin im 2./3. Quartal 2021 festgelegt. Hiermit wurde keine Leistungszeit vereinbart, vgl. § 286 II Nr. 1 BGB.

Die vertragliche Vereinbarung, dass der K den V erst ab April 2024 anmahnen konnte, stellt die Einräumung einer zusätzlichen Lieferfrist in Form einer sog. unechten Nachfrist dar. Mit deren Ablauf, also spätestens am 31.03.2022, konnte K den V durch einfache Mahnung in Verzug setzen.

bb) Vertraglich vereinbarte Schriftform eingehalten?

Eine Leistungsverzögerung läge jedenfalls dann nicht vor, wenn die Parteien – wie von V behauptet – eine Lieferfristverlängerung bis 30.06.2022 vereinbart hätten.

Problematisch war hier, dass der Vertrag vorgesehen hatte, dass etwaige Änderungen der Schriftform bedürfen, § 127 BGB. Grundsätzlich kann die Schriftform nach § 127 II S. 1 BGB auch bei telekommunikativer Übermittlung gewahrt sein, sofern es sich – wie hier – um eine durch Rechtsgeschäft bestimmte Form handelt.

Umstritten ist allerdings, ob WhatsApp-Nachrichten auch hierunter fallen:

Dagegen spricht, dass einerseits nicht alleine durch den eingespeicherten Namen des Chatpartners auf Empfängerseite klar wird, wer die Erklärung tatsächlich abgibt. Andererseits soll das Schriftformerfordernis eine Warnfunktion haben, die bei Instant-Messenger-Diensten wegen der Natur des Kontaktes gerade nicht gewahrt wird.

Für eine Einhaltung der Schriftform spricht allerdings, dass die in den Chats geschriebenen Informationen hinreichend sicher speicherbar sind (anders: Bilder, Videos und Sprachnachrichten!). Auch die Option „für alle Löschen“ steht bei WhatsApp nur kurzfristig nach Versenden der Nachricht zur Verfügung.

Somit ist sichergestellt, dass der Inhalt des Chats dauerhaft gespeichert wird (Cloud/ Gerät des Empfängers).

Dies genügt nach Ansicht des Gerichts den Anforderungen des § 127 II S. 1 BGB. Damit kann eine WhatsApp-Nachricht grds. die hier vereinbarte Schriftform wahren.

cc) Wurde eine Lieferfristverlängerung vereinbart?

Fraglich ist jedoch, ob der Inhalt des Chats als Lieferfristverlängerung bis zum 30.06.2022 verstanden werden kann.

Emojis können als Teil oder sogar als eigenständige Erklärung verstanden werden, wenn ihnen nach Auslegung des Chatverlaufs und der Kommunikation ein Erklärungswert beigemessen werden kann. Sie sind somit genauso nach §§ 133, 157 BGB auslegungsfähig, wie die sonstige Kommunikation der Vertragsparteien.

Das Gericht sieht in keinem der drei verwendeten Emojis eine Erklärung, die eine Lieferfristverlängerung stützen könnte:

23.09.2021: „Ups😬“: Dieses Emoji, ein Gesicht, welches eine Grimasse schneidet, kann im Kontext als Ausdruck von Verlegenheit oder Nervosität interpretiert werden. Eine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung kann hierin nicht gesehen werden.

29.09.2021: Das Emoji👍 kann je nach Einzelfall durchaus als Zustimmung gewertet werden. Im vorliegenden Fall bezog sich der Daumen hoch allerdings auf die Bestätigung der Bestellung und nicht auf eine mögliche Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung.

21.01.2022: 😄 Das grinsende Gesicht mit lachenden Augen kann im Kontext der Frage nach einem Liefertermin seitens des Herstellers als Ausdruck allgemeiner Freude oder Hoffnung gedeutet werden, nicht aber als Zustimmung zu einer Fristverlängerung.

Das Gericht betonte (zu Recht), dass die Interpretation von Emojis stets den Kontext der gesamten Kommunikation und die erkennbaren Absichten der Parteien berücksichtigen muss.

c) Nachfrist

Die vom Kläger gesetzte Nachfrist von drei Wochen war angemessen.

3. Kein Ausschluss

Ausschlussgründe waren hier nicht ersichtlich.

4. Rechtsfolge

K seine Anzahlung i.H.v. 59.500 EUR von V gem. § 346 I BGB verlangen.

Zusammenfassung & Examensrelevanz

Die Entscheidung des OLG München verdeutlicht, dass man in vertraglichen Beziehungen auch über digitale Kanäle sorgfältig kommunizieren muss. Insbesondere können Missverständnisse zwischen den Parteien wichtige rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Das Urteil, das höchst aktuelle Fragen behandelt, eignet sich vortrefflich für eine zivilrechtliche Examensklausur, da sich die Auslegung von Willenserklärungen in so gut wie jede zivilrechtliche Fallkonstellation als Problem einbauen lässt. Auch die Thematik der vertraglich vereinbarten Form sowie die „Kuriosität“ einer unechten Nachfrist dürften das Interesse der Prüfer wecken.

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Relevante Lerninhalte

  • Einordnung von digitaler Kommunikation über Messenger-Dienste als Willenserklärung
  • Unechte Nachfrist
  • Vertraglich vereinbarte Form

Relevante Rechtsprechung

  • OLG München, Urteil vom 11.11.2024 – 19 U 200/24 e

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