Das Gesetz verstehen: die Arbeit mit Gesetzestexten

Wie arbeitet man richtig mit dem Gesetz und am Gesetz?

Das Jurastudium kann ziemlich anspruchsvoll sein, oder? Definitiv gehört Jura zu den anspruchsvollsten Studiengängen, die Du in Deutschland studieren kannst. Aber keine Sorge, mit der richtigen Vorbereitung ist sogar ein Prädikatsexamen erreichbar!

Warum ist die Gesetzesarbeit so wichtig?

Einer der absolut wichtigen Punkte ist es dabei, sauber am Gesetz zu arbeiten. Viele unserer Dozenten sind selbst ehemalige Prüfer am JPA und immer wieder höre ich, dass bei Examenskandidaten der Normbezug fehlt.

Im Jurastudium und erst recht im Examen will kein Korrektor einen Besinnungsaufsatz lesen. Ganz im Gegenteil: Es ist absolut essenziell, dass Du den Sachverhalt Deiner Klausur stets unter das jeweils einschlägige Gesetz subsumierst.

Letztlich sind auch die (mitunter gefürchteten) Meinungsstreits nichts anderes als eine Interpretation des Gesetzestextes. Die Argumente, die für die eine oder andere Ansicht sprechen, sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern haben (auch wenn sie natürlich für Studenten im Grundstudium mitunter erst einmal abstrakt klingen mögen) stets eine gesetzliche Grundlage.

Wie arbeite ich mit dem Gesetz?

Daher ist es wichtig, dass Du gleich von Beginn des Jurastudiums richtig lernst, wie Du mit dem Gesetz arbeitest. Leider wird Dir dies oftmals nicht an der Universität beigebracht. Man setzt häufig voraus, dass man solche „methodischen Dinge“ beherrscht.

Für die Professoren, die viele Jahrzehnte Erfahrung mitbringen, ist das selbstverständlich. Jedoch ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das sehen wir auch immer wieder, wenn sich Studenten im Grundstudium für Jura Nachhilfe an uns wenden. Auch die juristischen Grundlagen, zu denen die Gesetzesarbeit zweifellos gehört, müssen erlernt werden!

In diesem Blogbeitrag möchte ich mit Dir meine Tipps teilen, die auf über 20 Jahren Erfahrung als Repetitor beruhen, wie Du erfolgreich und effizient mit Gesetzestexten arbeiten und diese Fertigkeiten später in Deiner Juraklausur anwenden kannst.

Das Gesetz ist der Ausgangspunkt jeglicher juristischer Arbeit

Denn das Gesetz ist Dein einziges Hilfsmittel in den Klausuren. Aber auch später, in der Praxis, bleibt das Gesetz stets der Ausgangs- und Mittelpunkt jeglicher juristischer Arbeit.

Auch beispielsweise als Anwalt kannst Du nicht etwas „einfach so“ verlangen, sondern musst den Anspruch Deines Mandanten stets auf eine rechtliche Regelung zurückführen. Selbst wenn es dabei um eine vertragliche Vereinbarung als Anspruchsgrundlage geht, so musst Du Dich stets fragen, ob diese vertragliche Regelung auch mit dem jeweiligen Gesetz im Einklang steht.

Daher solltest Du Dich gleich zu Beginn Deines Grundstudiums mit den Gesetzestexten und der Arbeit mit ihnen vertraut machen.

Lesetipp: Wenn Du schon im ersten Semester und im Grundstudium richtig durchstarten möchtest, empfehle ich Dir unsere gratis Workbooks, die viele nützliche Übungen und Tipps für Dein Jurastudium enthalten.

Unsere Anleitung für die effektive Arbeit mit dem Gesetz

 

Das Gesetz verstehen: die Arbeit mit Gesetzestexten. Leitfaden zum effektiven Umgang mit Gesetzestexten.

1. Das Inhaltsverzeichnis nutzen, um die richtige Norm zu finden

Dein erster Anlaufpunkt beim Umgang mit dem Gesetz sollte stets das Inhaltsverzeichnis sein. Dieses findest Du immer am Anfang des jeweiligen Gesetzes.

Hier findest Du die Gliederung des Gesetzestextes, die Dir hilft, die Struktur und die Reihenfolge der jeweiligen Paragraphen zu verstehen. Das dient der ersten Orientierung und verschafft Dir einen guten Überblick.

Tipp: Achte auf die Überschriften, dann findest Du Dich schneller zurecht.

Anschauliches Beispiel

Lass uns das Kaufrecht als Beispiel betrachten:

Anhand des Inhaltsverzeichnisses kannst Du Dich schneller orientieren und lernst gleich die übergeordnete Systematik des jeweiligen Gesetzes. Der Aufbau, den ich Dir gerade beispielhaft für den Kaufvertrag aufgezeigt habe, ist typisch: Am Anfang des Gesetzes findest Du die allgemeinen Normen und weiter hinten dann die spezielleren.

Hinweis: Diese Gesetzestechnik nennt man auch Klammerprinzip, weil die allgemeinen Regeln, die für sämtliche besonderen Regeln gelten, quasi vor die Klammer gezogen sind.

2. Fünf Paragrafen vor und nach

Eine bewährte Methode, um den Kontext einer bestimmten Norm zu erfassen, ist die Untersuchung der fünf Normen, die DU unmittelbar davor und danach findest.

Dies hilft Dir, den Rahmen der betreffenden Norm zu verstehen, da Gesetzestexte oft aufeinander aufbauen oder in Bezug zueinander stehen. Gewöhne Dir also (vor allem bei unbekannten Normen) stets an, den Kontext zu betrachten.

3. Normen lesen und verstehen

Der erste Schritt bei der Arbeit mit dem Gesetzbuch besteht darin, den betreffenden Paragraphen sorgfältig zu lesen und zu verstehen:

  • Wortlaut und Struktur: Achte auf den genauen Wortlaut der Norm und deren Struktur. Oftmals sind einzelne Wörter oder Satzteile von entscheidender Bedeutung. Was besagt die Norm nach dem allgemeinen Sprachverständnis?
  • Begriffsdefinitionen: Beachte Definitionen von Schlüsselbegriffen, die in der Norm vorkommen. Oftmals werden diese am Anfang eines Gesetzes oder Abschnitts erklärt.

4. Wie lege ich Gesetzestexte richtig aus?

Nachdem Du den Gesetzestext verstanden hast, ist es wichtig, die Norm richtig zu interpretieren. Wir Juristen reden von der Auslegung von Normen. Hierbei sind vor allem die folgenden 4 Auslegungsmethoden relevant:

Das Gesetz verstehen: die Arbeit mit Gesetzestexten. Leitfaden zum effektiven Umgang mit Gesetzestexten.

a) Wortlaut (grammatische Auslegung)

Der Wortlaut einer Norm ist stets der erste Anknüpfungspunkt. Du musst Dich also fragen: Was sagt die Norm überhaupt aus?

Bei dieser Methode wird der Text des Gesetzes oder der Vorschrift nach seiner üblichen Bedeutung im Wortlaut interpretiert. Dabei wird der Wortlaut selbst ohne weitere kontextuelle Betrachtungen genutzt.

Anschauliches Beispiel

In Gesetzen werden oftmals die Wörter „soll“, „muss“ und „kann“ verwendet.

Begriff

Rechtsfolge

Beispiel

„soll“

Zwingend, im Normalfall verbindlich

Gebundene Entscheidung im öffentlichen Recht

„Muss“ (Regelfall)

Regelfall, kann auch abweichen

Intendiertes Ermessen im öffentlichen Recht

„Kann“

Nicht zwingend, Raum für andere Entscheidungen

Ermessen im öffentlichen Recht

b) Systematische Auslegung

Oft reicht der Wortlaut aber nicht aus, um ein korrektes und eindeutiges Ergebnis zu gewinnen.

Bei der systematischen Auslegung betrachtest Du die Norm im Kontext des gesamten Gesetzes und prüfst, wie sie sich zu anderen Normen verhält, was die korrekte Anwendung erleichtert.

Beispiel

Wenn etwa ein Gesetz denselben Begriff an mehreren Stellen nutzt (nehmen wir die konkrete Gefahr im Polizei- und Ordnungsrecht), liegt es nahe, diese gleich zu interpretieren.

Tipp

Für die systematische Auslegung hilft oftmals ein Blick auf die Überschrift des jeweiligen Paragrafen, die Überschrift des betreffenden Abschnitts sowie auf die in der „Umgebung“ liegenden Normen (siehe schon Tipp „Fünf Normen vor und nach“).

c) Teleologische Auslegung (Sinn und Zweck)

Oftmals entscheidend – z.B. im Rahmen der Stellungnahme zu einem Meinungsstreit – ist die Auslegung nach Sinn und Zweck der jeweiligen Norm. Frage Dich, welchen Zweck die Norm verfolgt. Welches rechtliche oder soziale Problem soll gelöst werden?

Beispiel

Im obigen Beispiel könnte z.B. der Gefahrenbegriff einer Ermächtigungsgrundlage, die stark in Grundrechte eingreift, nach Sinn und Zweck einschränkend auszulegen sein. Wie Du siehst, kommen unterschiedliche Auslegungsmethoden oftmals zu unterschiedlichen Ergebnissen.

d) Historische Auslegung

Die historische Auslegung untersucht die Entstehungsgeschichte der Norm, um mögliche Absichten des Gesetzgebers zu erkennen und die Gesetzgebung besser zu verstehen.

Hierzu benötigst Du i.d.R. die sog. Drucksachen (Bundestagsdrucksachen und ggf. Bundesratsdrucksachen). Diese werden Dir aber in einer Klausur nicht vorliegen. Daher hat die historische Auslegung in einer Klausur nur eine sehr untergeordnete Bedeutung.

In einer juristischen Hausarbeit oder Seminararbeit kann die historische Auslegung jedoch zur Anwendung kommen.

e) Wie ist das Verhältnis der Auslegungsmethoden untereinander?

Wenn unterschiedliche Auslegungsmethoden – wie häufig bei Problemen, über die sich die Gerichte und die Rechtswissenschaft streiten – zu verschiedenen Ergebnissen kommen, musst Du Dich in der Klausur für eine Auslegung entscheiden.

Hierbei ist zu beachten, dass die unterschiedlichen Auslegungsmethoden sich ergänzen und nicht einander ausschließen. Sie sind grundsätzlich gleichwertig.

In der Praxis (und der Rechtsprechung) kommt gleichwohl der Auslegung nach Sinn und Zweck die größte Bedeutung zu, da diese i.d.R. die gesetzgeberische Intention hinter einer Norm aufzeigt. Daher solltest Du auch in der Klausur im Zweifel der teleologischen Auslegung folgen.

f) Was sind die verfassungskonforme und die europarechtskonforme Auslegung

Bei den klassischen vier Auslegungsmethoden ging es zunächst um die gängige Auslegung der Norm innerhalb eines Gesetzes.

Bei der verfassungs- und europarechtskonformen Auslegung geht es hingegen darum, ob eine Norm auch mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

aa) Verfassungskonforme Auslegung

Die verfassungskonforme Auslegung ist ein besonderes juristisches Auslegungsprinzip, das verlangt, dass Gesetze so ausgelegt werden müssen, dass sie mit dem Grundgesetz (= Verfassung Deutschlands) vereinbar sind.

Sie soll verhindern, dass ein einfaches Gesetz (z. B. ein Bundes- oder Landesgesetz) wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Grundgesetz durch das BVerfG für nichtig erklärt werden muss.

bb) Europarechtskonforme Auslegung

Die europarechtskonforme Auslegung bedeutet, dass nationales Recht so ausgelegt werden muss, dass es mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist.

Dabei sind insbesondere EU-Richtlinien, Verordnungen sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu beachten. Eine solche Auslegung ist jedoch nur zulässig, wenn sie den Wortlaut des nationalen Gesetzes nicht völlig verlässt und keine contra legem-Auslegung (also gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut) darstellt.

5. Übung macht den Meister

Der Umgang mit Gesetzestexten erfordert Übung. Je mehr ihr Euch mit ihnen auseinandersetzt, desto sicherer werdet ihr im Lesen, Verstehen und Interpretieren.

Gerade die Fähigkeit zur Auslegung sollte nicht unterschätzt werden. Die Auslegung ist eine praktische Fähigkeit von Juristen, die man auch noch im späteren Berufsleben nutzen muss.

Lest Euch einmal ein BGH‑Urteil zu einer umstrittenen Rechtsfrage durch. Dann werdet Ihr sehen, dass selbst der Bundesgerichtshof Normen (lehrbuchartig) auslegt.

Darf ich meine Gesetze markieren und/oder unterstreichen?

Eine wichtige Frage zum Schluss, die sich jeder Jurastudierende Stellt. Die Antwort lautet hier „jein“. Die Frage lässt sich nicht einheitlich für sämtliche Bundesländer beantworten.

Ob Markierungen usw. zulässig sind, regeln die jeweiligen Prüfungsordnungen Deiner Fakultät. Informiere Dich rechtzeitig, denn unzulässige Hilfsmittel (also Gesetze mit unzulässigen Markierungen, Anmerkungen usw.) werden als Täuschungsversuch gewertet.

6. Weitere nützliche Lesetipps für das Grundstudium

Ihr solltet die Bedeutung des Grundstudiums nicht unterschätzen. Denn hier werden die Grundlagen für ein späteres, erfolgreiches Staatsexamen gelegt. Daher haben wir für Euch auf unserem Blog viele nützliche Artikel speziell für die ersten Semester verfasst. Seht Euch gerne um. An dieser Stelle möchte ich Euch nur die wichtigsten einmal direkt verlinken:

a) Fachliche Artikel

Du findest zum BGB AT u.a. folgenden Artikel:

Zum Strafrecht AT haben wir u.a. folgende Themen für Dich bearbeitet:

Im Staatsrecht sind folgende Beiträge wichtig:

b) Studienratgeber

7. Fazit zur Arbeit mit Gesetzestexten im Studium

Ein sicherer Umgang mit Gesetzestexten ist eine zentrale Schlüsselkompetenz im Jurastudium. Wer früh lernt, Gesetzesnormen richtig zu lesen, im Zusammenhang zu verstehen und richtig auszulegen, schafft eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Klausuren und das weitere Studium. Durch regelmäßige Übung wird das Arbeiten mit dem Gesetz zur Routine.

Wenn Dir der Einstieg im Grundstudium nicht gelingt oder Du gar schon in der Zwischenprüfung durch eine Klausur gefallen bist oder falls Du von Anfang an ein Prädikatssexamen anstrebst – wende Dich gerne an uns. Die erfahrenen Dozenten der Kraatz Group sind für Dich vom 1. Semester bis 2. Staatsexamen für Dich da und werden Dir den Weg zum Erfolg im Jurastudium aufzeigen. Buche jetzt Deinen kostenlosen Beratungstermin.

RA Mario Kraatz

Gründer und Geschäftsführer der Kraatz Group

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